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Hyper oder Hype...
Es gibt Veranstaltungen da frage ich mich, wieso ich unbedingt dabei sein musste
welche da wünsche ich mir dabei gewesen zu sein und ein paar wenige
wo ich sagen kann: ich war dabei...
zeitgleich zum Kirchentag fand in den Niederlanden ein Orgel-Event statt, welches, wie mir scheint, in Deutschland kaum beachtet wurde. Unter dem Titel „hyperorganic movements“ waren Organistys*, Orgelbauys, Musikys und alle Interessierten in die ehemalige Parkkirche in Amsterdam eingeladen. Im Mittelpunkt standen die technischen und musikalischen Möglichkeiten der HyperOrgeln.
(HyO - Klangquellen (Pfeifen) nach Belieben zu kombinieren und den Windstrom (zu ihnen) zu steuern, unterscheiden HyO von herkömmlichen Pfeifenorgeln).
Am Donnerstag begrüßte uns Jasmine Karimova mit ihrer Stimme und live an der Orgel, bevor Hans Fidom, der Leiter des Orgelparks, das Symposium eröffnete und uns einen Ausblick auf die eingeladenen Gäste, Themen, und musikalischen Entdeckungen gab. Die HyO als analoge Möglichkeit in einer Welt in der Orgelvideos schneller und mehr Klicks bekommen als es mit einem „echten Konzert“ möglich wäre. Welche neuen Angebote für welches Publikum kann sich mit solchen Instrumenten ergeben?
Elisabeth Hubmann zeigte uns, dass es durchaus eine interessante Verbindung von klassischer Orgel und Pop-Musik gibt und Jacob
Lekkerkerker beschrieb eine ganze Reihe von neuen Wegen für Ausbildung, Lehre und Studium bei welchen die Grenzen zwischen Schülys und Lehrys keineswegs mehr klar sind. Den letzten Vortrag des Tages bestritten Dominik Susteck (Sinua) mit den digitaltechnischen Möglichkeiten (Einzeltonsteuerung) vernetzter Spielanlagen und Ansgar Wallenhorst welcher über seine Ideen und Konzepte zu einer „fluiden Orgel“ berichtete.
Das Konzert von Maarten Wilmink (Teil seines Bachelor-Examens) begann auf der Van Straten-Orgel (Kopie Blockwerk-Orgel 1479) und der Utopa-Barockorgel (mechanische Trakturen), dann ging es weiter am digitalen Spieltisch, mit welchem sich die Sauer- und die Barockorgel gleichzeitig steuern lassen. Stehende Ovationen des vollen Saales wurden von den Prüfern mit Bestnoten gekrönt.
Am Freitag Morgen begann Christoph Bossert mit einem hoch interessanten Bericht über die Ideen, Visionen und Träume bei der Realisierung „seines“ Instruments in Würzburg verbunden mit Überlegungen zu Registern und Registrierungen auf historischen Orgeln. Phillip Kloeckner möchte die große Skinner Orgel im Chicago Temple aufrüsten und Michael Veltman berichtete Aktuelles von einer der
ersten HyO (Kunststation St. Peter Köln). Kimberly Marshall, welche an diesem Tag auch das abendliche Konzert, ganz ohne hyper an der Vater/Müller Orgel in der Oude Kerk, spielte, lud uns auf eine geradezu philosophische Reise durch antike Malereien und Texte von Kafka oder David Whyte ein. Annie Bloch nutzte für ihre Improvisation die an Cavaillé-Coll angelehnte Verschueren Orgel. Adrian Foster
wiederum bot die ganze Bandbreite durch die Verwendung von moderner Elektronik (Mikrofone in den Orgeln) und Echtzeitbearbeitung der Klänge bis hin zu direkten Klangveränderungen an einzelnen Pfeifen. Das Duo Gammut Inc. zeigte neben selbstgebauten Musikmaschinen komplett computergesteuerte Kompositionen für HyO verschiedener Größen. Annie Garlid gab Einblicke in die Überschneidungen von experimenteller, klassisch zeitgenössischer und populärer Musik, während Maxime Denuc den Saal mit den Orgeln (über Laptop) in eine Techno-Disco verwandelte, leider traute sich niemand zu tanzen, der Applaus hingegen war gewaltig.
Den letzten (Sams)Tag eröffnete Jürgen Scriba mit der Frage „was passiert wenn die Technik veraltet ist oder ausfällt“ und ob technisch aufwendigere Konstruktionen mehr musikalische Möglichkeiten bieten (PorportionalVentile). Ein runder Tisch von Orgelbauern (no innen) warf noch einen ganz anderen Blick auf den aktuellen Orgelbau, wie sich eine Pfeifenorgel gegenüber Musik aus Lautsprechern behaupten kann und ob nicht doch die Organistys oft der bremsende Faktor bei Innovationen sind. (mein Lieblingsthema: schlechtes Spieltischdesign). Im Anschluss präsentierte Carles Viarnés Ausschnitte aus seinem neuen Album Hyper-O wobei er mobile Orgelmodule (von Albert Blankavort), Digitalpiano sowie elektronische Komponenten etc nutzte.
Hans-Ola Ericssohn fasste viele Ideen und Diskussionen abschließend zusammen und erzählte über seinen musikalischen Werdegang wobei er einmal mehr eindrücklich bewies, dass es keinerlei Powerpoint-Praesentation oder ähnlichem bedarf um einen ganzen Saal gebannt zu fesseln - ihm hätte ich gerne noch länger zugehört, was definitiv nicht bei allen (wahrscheinlich nicht einmal bei den meisten "Reden" der Fall war ;-)
Zum Abschlusskonzert wurden die beiden Orgeln in Amsterdam per Internet mit dem Instrument der Pacific Spirit United Church in Vancouver zu einer „Global HyperOrgel“ verbunden, die Anwesenden an beiden Orten konnten die jeweils andere Orgel über Lautsprecher hören, von „live gespielt“ bis „komplett PC gesteuert“ war alles dabei.
Mein persönlicher Eindruck: So müssen sich die Menschen gefühlt haben welche das erste mal bewegte Bilder (Kino) gesehen haben – das lässt sich nicht beschreiben – nur erleben.
Allein dieses Konzert wäre den weiten Weg nach Amsterdam wert gewesen (die Kosten sowieso)
und ich kann endlich einmal sagen:
- ich war live dabei.
* entgendern nach Phettberg – ich meine aus tiefstem Herzen immer alle Menschen
pS: Ich weiß es klingt arg nach Namedropping aber ich kann nichts dafür, dass so viele aktiv beteiligt waren
(ich habe wirklich schon recht viel weggelassen)
#2
Ich kann mit den meisten Begriffen nicht so wirklich etwas anfangen. Kannst du da vielleicht etwas mehr dazu sagen? Ich kann mir z.B unter HyperOrgeln nichts vorstellen...
Zitat von elias.orgel im Beitrag #1
Verbindung von klassischer Orgel und Pop-Musik gibt
Da sind Geschmäcker sehr unterschiedlich. Ich hatte mich damals beim D-Kirchenmusiker extra für die klassische Richtung entschieden, obwohl es da schon die Popularmusik Lehrgänge gab. Nur ich persönlich kann mit Pop nichts anfangen. Es gefällt mir einfach nicht. Natürlich höre ich auch gerne einmal solche Stücke auf einer Orgel. Ich habe auch schon einige Stücke wie Eye of the Tiger gut gemacht gehört, dass ist durchaus klanglich beeindruckend, aber selber habe ich keine Lust mich mit so was zu beschäftigen. Es sei aber gesagt, dass Geschmäcker unterschiedlich sind und eine Gemeinde sehr profitiert Organisten zu haben, die gemeinsam ein breites Spektrum abdecken. So kann jeder die Veranstaltungen besuchen, wo er seine favorisierte Musik hört.
Was das Instrument Orgel betrifft, da bin ich eigentlich flexibel. Ob ich mit dem Spieltisch nun Pfeifen erklingen lasse, oder einen Computer dazu bringe synthetische Töne zu erzeugen, dass ist mir eigentlich egal. Wenn es mir gefällt und gut klingt, dann musiziere ich damit. Wir Orgelspieler haben ja ein großes Spektrum was wir spielen können. Kirchenorgel, Konzertorgel, Theaterorgel, elektrische Orgel, digitale Orgel, Truhenorgeln/Positive, Studio Orgeln (Wersi und co), Harmonium und einige andere Dinge.
Das hier könnte dir einen Einblick geben.
https://hfm-wuerzburg.de/news/hyper-organ
Dabei hatte ich doch extra diesen schönen Satz gleich hinter die HyperOrgeln (HyO) gesetzt
hier noch einmal im Zusammenhang:
Jetzt, wo die Entwicklung der Hyperorgel an Fahrt gewinnt, scheint es sicher zu sein, dass ihr Hauptmerkmal die Vielgestaltigkeit ist.
Die Möglichkeit, Klangquellen (Pfeifen) nach Belieben zu kombinieren und den Windstrom zu ihnen zu steuern - die beiden Eigenschaften, die Hyperorgeln von herkömmlichen Pfeifenorgeln unterscheiden - scheint alle Arten von Musikern und Künstlern zu inspirieren, von denen viele die Orgel bisher nicht als ein Instrument betrachtet haben, mit dem sie arbeiten können. Die bisherigen Ergebnisse sind, gelinde gesagt, vielversprechend: Sie schaffen nicht nur Musik und andere Kunstwerke, die noch vor einem Jahrzehnt als unmöglich galten, sondern etablieren auch neue Wege des Musizierens, einschließlich historisch informierter Wege.
(aus dem Programm des Symposiums)
etwas poetischer:
Hyperorgel: Pfeifenorgel, die ihre zentralen dynamischen Qualitäten zurückgewinnt, indem sie Technologien einsetzt, die die Steuerung von Klangfarbe und Windfluss "entmaschinisieren".
- Hans Fidom Orgelpark
oder sehr pragmatisch:
eine HyperOrgel ist eben mehr als eine Pfeifenorgel mit MIDI-Anschluss
was das im Einzelnen bedeutet ist allerdings ganz unterschiedlich:
zB Einzeltonsteuerung - Ansgar Wallenhorst (Ratingen - Peter und Paul / Seifert 1953/2016 IV/P 50)
- HyperOrgel Ratingen
dh jede Pfeife kann separat erklingen, die (feste) Zuordnung zu Registern ist aufgehoben, die (feste) Zuordnung zu Tasten ist aufgehoben, das bedeutet ebenfalls, dass Klangeffekte zB durch sehr schnelles Repetieren der Magnetventile möglich sind - laut Jürgen Scriba können sogar beliebige Öffnungsvorgänge ohne ProportionalMagnete realisiert werden - dh der Windstrom zu jeder einzelnen Pfeife könnte (beliebig) moduliert werden (evtl gibt es allerdings Rückkopplungen in der Windlade)
zB ProportionalVentile - Christoph Bossert (Würzburg - Hochschule f Musik / Klais 2016 III/P 83)
- HyperOrgel Würzburg
hier können die Ventile der mechanischen Kegellade stufenlos geöffnet werden, und somit mehr Einfluss auf An- und Absprache sowie generell auf den Klang ausgeübt werden.
zudem gibt es Möglichkeiten der Winddrosselung - von einfachem Motor aus, über Motorleistung "dimmen" bis hin zu Windversorgung für jedes Werk oder gar jede Pfeife einzeln präzise steuern zu können
zB Einfach Riesig und "neue Register" - Hans-Ola Ericsson (Piteå Schweden - Studio Acusticum / Wöhl 2012 IV/P 192)
- Pieta Studio Acusticum
ich persönlich bin auch der Meinung, dass die (winddynamischen) ZachariasZungenpfeifen dazu zählen sollten
und natürlich die Dynamisch reine Orgelstimmung mit Hermode Tuning
- PfeifenOrgel mit EchtzeitStimmung
Bei dem Teil "Verbindung von klassischer Orgel und Pop-Musik" gehst Du allerdings lediglich davon aus, dass
Zitat von Christian_Hofmann im Beitrag #2
solche Stücke auf einer Orgel ... habe ich schon ... gut gemacht gehört
in Amsterdam haben wir aber Stücke gehört welche eben irgendwie sehr populär oder kommerziell gedacht sind
und (unter anderem) klassische Orgelklänge nutzen Maxime Denuc Orgel
#5
Aleteia - die Gulliver-Orgel - Einzeltonsteuerung = HyperOrgel ;-) zu sehen in dem Video: Maxime Denuc Orgel
Ungewöhnlich: die Gulliver-Orgel, dieses Instrument, das durch ganz Frankreich reist!
- (Marthe Taillée – veröffentlicht am 19.02.22)
Eine transportable, computergestützte Orgel …
Es mag überraschend klingen, aber es gibt sie.
Hier ist Gulliver, ein Instrument, das von einem leidenschaftlichen Organisten entworfen wurde.
Er ist in ganz Frankreich auf Tour.
Programmierung, digitale Assistenz, Konsole … Das ist ein Vokabular, das weit von der Welt der klassischen Orgel entfernt ist. Allerdings ist Gulliver, eine tragbare computergestützte modulare Orgel, eine echte Orgel. Dieses seltsame Instrument aus Einzelteilen, 8 x 4 Meter lang, wurde nach einem Tag der Montage installiert und von Henri-Franck Beaupérin entworfen, dem ehemaligen Organisten der Kathedrale von Angers und heutigen Besitzer der großen Orgeln der Abtei von Sylvanès (Aveyron). .
Was hat diesen leidenschaftlichen Künstler aus Nantes und Gewinner mehrerer internationaler Auszeichnungen dazu bewogen, sich auf ein solches Abenteuer einzulassen? „Die Orgel, wir wissen nicht wirklich, wie sie funktioniert: Wir sehen den Organisten nicht, sie kommt von dort oben, es ist ein bisschen seltsam. Wir brauchten ein Werkzeug, mit dem die Orgel der Öffentlichkeit präsentiert werden konnte“, erklärt Henri-Franck Beaupérin. Für ihn begann alles im Jahr 2019 in Rouen. Jean-Baptiste Monnot, Besitzer der großen Orgel der Abteikirche Saint-Ouen, hat gerade eine experimentelle mobile Orgel entworfen, die ein breites Spektrum an Klängen bietet und die er „die Reiseorgel“ nannte.
Dies ist der Auslöser für Henri-Franck Beaupérin, dem gleichzeitig und glücklicherweise eine verlassene Orgel „von ausgezeichneter Verarbeitung“ geschenkt wird, die in der Kapelle des Priesterseminars der Diözese Nantes schlief. Eine Genesung, die ihn dazu bringen wird, seinen Traum zu verwirklichen. Tatsächlich ermöglichten ihm eine Reihe „glücklicher Begegnungen“ die Verwirklichung seines Projekts: zwei befreundete Orgelbauer, ein Team von Informatikern und der Designer des Spieltisches. „Sie alle beteiligten sich mit ihrem Know-how, ihrem Engagement und sehr oft einer unbestreitbaren Klugheit an der Verwirklichung eines Instruments, das gleichzeitig musikalisch stimmig, technisch zuverlässig und künstlerisch innovativ sein musste“, liest Henri heute – Franck Beauperin . Das Instrument wird Gulliver heißen, benannt nach dem literarischen Helden Jonathan Swift.
Dank dieses „Open-Air“-Experimentierinstruments birgt die Welt der Orgel für das breite Publikum, das ihre Konzerte besucht, keine Geheimnisse mehr: Sobald die Module auf dem Boden installiert sind, „kann man einen Spaziergang machen und verstehen, wo die Klänge sind.“ „Woher kommen wir, warum hören wir diesen oder jenen Ton an diesem und jenem Ort“, erklärt Henri-Franck Beaupérin. Außerdem kann das Publikum den Organisten endlich „aus der Nähe“ sehen, denn dieser spielt von der „Konsole“, die sich neben dem Instrument befindet: Bestehend aus einem Computerbildschirm, vier Tastaturen und einem Pedal, ähnelt die Konsole ein wenig dem Kommando Posten der Orgel.
Gemeinschaft mit der Öffentlichkeit
Doch wie ist es möglich, eine Bach- Toccata auf einer computergestützten Orgel zu spielen ? „Zwischen der Konsole und den Rohren befindet sich eine Computerschnittstelle, die in Echtzeit Informationen von den Tastaturen empfängt. Es zeigt Pfeife für Pfeife an, ob es notwendig ist, dieses oder jenes Ventil zu spielen. Daher ist eine Zeit der Programmierung vor dem Konzert notwendig“, entwickelt der Organist, der dank dieses Systems nie aufhört, „unendliche Interpretationsmöglichkeiten“ zu entdecken, auch wenn er „versucht, dem Geist des Komponisten treu zu bleiben“.
Um beispielsweise die Choräle von César Franck zu interpretieren, wird er nach „umhüllenden Farben für den Vater, tragischen Farben für den gekreuzigten Sohn und leuchtenderen und wirbelnden Farben für den Geist“ suchen. Ein Interpretationspanel, das daher nicht mehr wie bei einer klassischen Orgel eingeschränkt ist und je nach Konzert oft eine „tiefe Gemeinschaft“ mit dem Publikum ermöglicht.
Das Gulliver-Instrument wird bereits Anfang 2022 für eine Reihe von Auftritten in ganz Frankreich erwartet, darunter ein Festival für experimentelle Musik. Dieses außergewöhnliche Abenteuer trug dazu bei, das strenge Bild der Orgel zu entstauben. Und es hat es ermöglicht, seinen unschätzbaren musikalischen Reichtum der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Wer weiß, ob unter ihnen einige Musikliebhaber, die vom Glauben entfernt, aber im Herzen von der Magie dieser Klänge berührt sind, nicht eines Tages dazu gebracht werden werden, die Tür einer Kirche wieder aufzustoßen?...
#7
Funktioniert es in der Praxis überhaupt sinnvoll für jede Pfeife ein eigenes Ventil zu haben? Bei einer kleinen Orgel kann ich mir so was durchaus vorstellen, aber bei großen Orgeln hätte man ja eine gigantische Anzahl an Ventilen. Wenn es dann keine Schleifen gibt, dann hat man ja ein ernsthaftes Problem, wenn mal ein Ventil klemmt oder bei einem Durchstecher oder auch einem Riss. Da hat man dann keine Chance den Wind irgendwie abzuhalten. Von der Wartung von vielen tausend Ventilen mal abgesehen, würde ich einem solchen Instrument keine lange Lebenserwartung geben.
Zitat von Christian_Hofmann im Beitrag #7
Funktioniert es in der Praxis überhaupt sinnvoll für jede Pfeife ein eigenes Ventil zu haben?
Lieber Christian_Hofmann, manchmal kann ich Deine Fragen wirklich sehr schwer nachvollziehen...
Einzeltonladen sind aktuelle Technik - und werden auch für größere (Hyper)Orgeln gerade durchaus gebaut - es ist allerdings auch eine Kostenfrage.
Hier hilft (wie so oft) immer ein Blick auf die sehr gute Seite www.walcker-stiftung.de (Technik der Orgel von R. Eberlein)
- 3. Kastenladen
Kastenladen sind dadurch gekennzeichnet, dass alle Pfeifen auf einem gemeinsamen, nicht weiter unterteilten Windkasten stehen...
...Im späten 19. Jahrhundert wurden erneut verschiedene Kastenladensysteme entwickelt, die rein mechanisch, pneumatisch oder elektrisch gesteuert wurden. In allen diesen Varianten befindet sich im Windkasten unter jeder Pfeife ein Ventil.
...Während in Deutschland die Kastenlade seit den 1950er-Jahren kaum noch gebaut wurde, ist die Kastenlade seit ca. 1900 in den USA weit verbreitet unter dem von der Firma Austin geprägten Namen Universal Airchest oder kurz Unit Chest. Damit alle Einzeltonventile unter den Pfeifen für Wartungszwecke leicht erreichbar sind, hat der Windkasten in diesen amerikanischen Orgeln die Dimensionen eines Zimmers, in das man durch luftdicht schließende Türen auch bei angeschaltener Orgel eintreten kann um Regulierungen durchzuführen oder eventuelle Fehler zu beseitigen. ...
Die Kastenlade vermeidet die charakteristischen Schwächen der Ladensysteme mit Kanzellen:
Anders als bei der Schleiflade und anderen Tonkanzellenladen können große Pfeifen den kleinen nicht "den Wind rauben", es können daher beliebig viele Register von beliebiger Größe auf einer Lade versammelt werden. Und anders als bei der Kegellade und anderen Registerkanzellenladen besteht auch nicht die Gefahr, daß das Öffnen von Ventilen die Eigenschwingung der betreffenden Kanzellenräume anregt, ein Zittern des Tones hochklingender Pfeifen verursacht und dadurch die klangliche Verschmelzung hoher Register mit tieferen Registern beeinträchtigt. Allerdings besteht bei elektrisch traktierten Kastenladen die Gefahr, daß der Toneinsatz der Pfeifen zu explosiv wird, weil Elektromagnete die Windzufuhr zu den Pfeifen zu abrupt öffnen. In der Universal Airchest von Austin wird jedoch durch eine elektro-pneumatische Steuerung ein akzeptabler Toneinsatz erreicht: Die Kastenladen-Orgeln dieser Firma werden in Amerika klanglich sehr geschätzt.
Danke für die Erklärung! Dass in Tonkanzellen große Pfeifen den kleinen den Wind rauben, hätte ich nicht gedacht. Dafür gibt es doch den Balg, der den Luftstrom unabhängig der Entnahme konstant hält (in meinen Laien-haften Worten ausgedrückt). Wenn Orgeln bei ggf. größerer Registrierung windstößig oder jauernd klangen, habe ich das eher auf den evtl. zu unterdimensionierten Wind geschoben.
Was ich mich bei der modernen Technik, die ich sehr faszinierend finde, frage ist, wie langlebig das Ganze ist. Oder ob man sich mit dem Vorteil der Flexibilität halt auch bewusst ein anderes Wartungslevel einkauft, da die Materialien und Technologie ggf. intensiver gewartet und repariert werden muss. Zumindest habe ich das mal über Nachkriegsbauten gehört, dass diese Orgeln mit modernem Materialmix deutlich schneller eine Generalüberholung brauchten, als welche mit Holz und Leder.
Nicht immer muss höherer Wartungsaufwand direkt ein KO Kriterium sein. Es ist halt ggf. Teil des Deals.
Mein GesangsProf (auch Organist) war sehr gut befreundet mit Detlef Kleuker und erzählt immer wieder teilweise haarsträubende Anekdoten...
etwas neutraler steht bei Wiki: D.Kleuker:
Nach dem erfolglosen Orgelneubau für die lutherische Kirche in Sankt Peter-Ording (1953), die auf einer Kastenlade mit störanfälligen elektrisch gesteuerten Hülsenmagneten basierte, entwickelte Kleuker eine witterungs- und klimabeständige Form der Schleiflade. Nun kamen Vierkantrohre aus Pertinax (Faserverbundwerkstoff aus Papier und einem Phenol-Formaldehyd-Kunstharz) oder aus mit Kunstharz getränktem Holz oder Sperrholz zum Einsatz. Für die Ventile und die Traktur verwendete er Leichtmetall wie Aluminium. In den Anfangsjahren arbeitete er mit Drehschleifen, später mit Messingschleifen, und ließ verschiedene Neuentwicklungen patentieren. In den letzten Jahren wandte er sich wieder stärker den traditionellen Werktechniken zu, da sich die neuen Werkstoffe als zu kurzlebig erwiesen.
wie anfangs beschrieben, war auch der Vortrag von Jürgen Scriba sehr interessant welcher auf die Problematik von technischen Insellösungen und defekter/veralteter Technik hinwies - ich selbst habe gerade erst erfahren müssen, dass die (Computer) Technik in unserer Orgel (DO Benedikt 1997, III-P 103) quasi nicht mehr zu reparieren ist (obwohl dann ausnahmsweise doch noch einmal ;-)
mich würde tatsächlich eine Aufstellung über die korrekten Zahlen und Kosten bei möglichst allen Pfeifenorgeln (Wartung, Reparaturen, Neubau, Ersatz) interessieren
- ich bin mir sicher, da kommen Summen zusammen die fast jedem die Haare zu Berge stehen lassen.
und bitte keine Argumentation ala - ja mit einem Krieg (WW II) konnte ja keiner rechnen...
Zitat von Brassmann im Beitrag #9
....Dafür gibt es doch den Balg, der den Luftstrom unabhängig der Entnahme konstant hält (in meinen Laien-haften Worten ausgedrückt).
Hi
Das ist so nicht richtig: Der Balg hält nicht den Luftstrom (Volumen pro Zeiteinheit) konstant, sondern den Winddruck. Der Luftstrom variiert ständig in Abhängigkeit davon, wie viele Register gezogen und wieviele Tasten betätigt sind. Das erkennst du auch leicht daran, dass der Magazinbalg beschwert wird, häufig mit Steinen.
Aus dem Verhältnis von Gewichtskraft zu Fläche (auf denen die Steine liegen) ergibt sich der Druck. Dass der Winddruck sich ändern kann, wenn zuviel Wind entnommen wird in Relation dazu, was der Windmotor liefern kann, ist eine andere Sache....
Zitat von elias.orgel im Beitrag #10
mich würde tatsächlich eine Aufstellung über die korrekten Zahlen und Kosten bei möglichst allen Pfeifenorgeln (Wartung, Reparaturen, Neubau, Ersatz) interessieren
- ich bin mir sicher, da kommen Summen zusammen die fast jedem die Haare zu Berge stehen lassen.
und bitte keine Argumentation ala - ja mit einem Krieg (WW II) konnte ja keiner rechnen...
Ich glaube, das sollte man besser nicht fragen. Du würdest auch einen Schreck bekommen, wieviel Geld zu für Essen und Trinken ausgibst. Manche Sachen nimmt man lieber hin und freut sich drüber, dass man es sich leisten kann.
Zitat von Carlo im Beitrag #11
Hi
Das ist so nicht richtig: Der Balg hält nicht den Luftstrom (Volumen pro Zeiteinheit) konstant, sondern den Winddruck. Der Luftstrom variiert ständig in Abhängigkeit davon, wie viele Register gezogen und wieviele Tasten betätigt sind. Das erkennst du auch leicht daran, dass der Magazinbalg beschwert wird, häufig mit Steinen.
Aus dem Verhältnis von Gewichtskraft zu Fläche (auf denen die Steine liegen) ergibt sich der Druck. Dass der Winddruck sich ändern kann, wenn zuviel Wind entnommen wird in Relation dazu, was der Windmotor liefern kann, ist eine andere Sache....
Du hast Recht, da habe ich mich zu doof ausgedrückt. Im Grunde meinte ich genau das: gleicher Druck. Und je nach dem, wieviel Luft entnommen wird, geht der beschwerte Balg langsamer oder schneller nach unten und öffnet die Zufuhr für die Windmaschine. Und genau aufgrund dieses Mechanismus' hätte ich nicht vermutet, dass größere Pfeifen kleineren den Wind klauen. Denn ja, dort geht mehr Wind (Volumen pro Zeiteinheit) durch, aber durch den konstanten Druck sollte ja jede Pfeife ihr bisschen Wind abbekommen. So die Theorie in meiner kleinen, einfachen Welt.
#13
Zitat von Brassmann im Beitrag #12
hätte ich nicht vermutet, dass größere Pfeifen kleineren den Wind klauen
Im Prinzip ist es aber logisch. Alles geht den Weg des geringsten Widerstandes und eine große Öffnung bietet nun einmal einen geringeren Widerstand als eine kleine Öffnung.
Wobei man diesen Effekt auch nicht überbewerten sollte, Orgelbauer die ihr Handwerk verstehen trennen oft die Bereiche und legen die Windversorgung auch sinnvoll aus. Davon abgesehen sind solche Effekte ja auch bei der Intonation berücksichtigt und dadurch lebt der Klang ja auch viel mehr, als in einem digitalen Abbild.
Bestes Beispiel ist ein Harmonium, welches nun alles andere als einen gleichmäßigen Klang hat, aber genau dies macht ja den Charm aus und man kann damit aktiv arbeiten.
#14
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