Ein Erfahrungsbericht über den Test diverser Klaviaturen

09.07.2023 23:02
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#1
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Ich möchte von den Erfahrungen eines Orgelbekannten berichten, der Klaviaturen diverser Hersteller ausprobiert hat, von denen ich auch mal einige Modelle auf dem Schirm hatte.

Seinen Bericht fand ich so interessant, dass ich ihn gefragt habe, ob ich seine Erfahrungen hier im Forum weitergeben darf. Er hat mir die Erlaubnis gegeben und ich habe die Infos etwas gestrafft wiedergegeben.

Über eine Diskussion zur Qualität von vier Hauptwerk-Händlern (Voitz, Orgelhaus Stiftsland, OSI, Pausch-e) kamen wir zum Thema Klaviaturen.

Er hat diverse Hersteller und Bekannte aufgesucht, um eine für ihn optimale Klaviatur-Lösung zu finden. Die getesteten Tastaturen wurden in der Standardeinstellung ausprobiert, wobei die höherpreisigen Klaviaturen über mehrere Parameter nach den eigenen Vorlieben konfiguriert werden können.

Fatar
Die Standardklaviaturen von Fatar waren für ihre Preisklasse gar nicht mal so schlecht wie angenommen. Aber kein Vergleich zu den höherwertigeren Modellen.
Die Metallkernklaviaturen von Fatar haben ihre Berechtigung; subjektiv würde er aber den Aufpreis für die Holzkernklaviaturen in Kauf nehmen, welche sich im Vergleich deutlich angenehmer spielen. Am griffigsten/besten in dieser Preisklasse empfand er die Fatarsche Holzkernklaviaturen mit Ivory-Oberfläche.
Die Vollholzklaviaturen von Fatar mögen optisch etwas hermachen, sie spielen sich jedoch nicht besser/schlechter als die Holzkernklaviaturen und wären ihm den Aufpreis nicht wert. Sie sind vor allem etwas für die "Holz-Optik"-Liebhaber.

In der unteren bis mittleren Preisklasse würde er jedem die Holzkernklaviaturen von Fatar empfehlen. Sie spielen sich für ihren Preis wirklich gut und reichen im Hinblick auf die Ansprüche der meisten Organisten hinsichtlich Qualität, Haltbarkeit und Spielgefühl wirklich aus. Die verwendeten Druckpunktmatten sind leicht und günstig ersetzbar.

In der mittleren bis oberen Preisklasse hat er sich teilweise schwer getan, eine Bestenliste zu erstellen, weil jede der Klaviaturen klare Stärken/Schwächen hat und unterschiedliche Ansprüche/Vorlieben bedient.

Schwindler
Besonders überrascht war er von den Schwindler-Klaviaturen. Die sind recht knackig im Spielgefühl und erinnern deutlich stärker an eine mechanische Pfeifenorgel als beispielsweise die Fatars - und das zu einem noch moderaten Preis. Diese Klaviaturen sind für ihn der Preis-/Leistungs-Sieger.
Nachteile: Sie spielen sich recht laut, was manche stören könnte und die Verarbeitung ist ausbaufähig; kein Vergleich zu UHT, dafür aber eben auch deutlich günstiger.

UHT
Die Kurzhebelserie 40 von UHT spielt sich in der Standardeinstellung relativ knackig und im Vergleich zu Schwindler geräuschloser. Gleichzeitig verfügt sie über eine erheblich bessere Verarbeitung, kostet aber auch deutlich mehr. Beim Spielen der Serie 40 hatte er das Gefühl, ein Hauptwerk zu bespielen, während die Renatus-Serie (siehe unten) in der Standardeinstellung eher das Gefühl des Spielens eines Positivs/Nebenwerks vermittelt.
Sie ist vielleicht die ideale Klaviatur für Leute, denen Schwindler zu windig gebaut ist und denen die höherwertigeren Klaviaturen zu teuer sind. Alles in allem eine gute "Allround"-Klaviatur, über die er wirklich nichts Schlechtes sagen kann.

Die Top Drei - UHT Renatus, Syré, Pausch-e (Heuss)

Die ebenfalls einhebelige Renatus-Serie ist die große Schwester der Serie 40 und glänzt mit längeren Hebeln (nebst deutlich höherem Preis). Sie spielt sich in der Standardeinstellung weicher und strengt die Finger weniger an (längere Feder). Er hatte das Gefühl, an einer im Grunde leichtgängigen (oder durch Barkerhebel unterstützten) mechanischen Traktur zu sitzen.
Preislich ist die Renatus-Serie in der Oberklasse anzusiedeln - pro Manual knapp 4000 Euro. Ob der Aufpreis gegenüber der kürzeren Serie 40 gerechtfertigt ist? Jein. Die Klaviatur war angenehmer im Spiel (sie lässt sich beim Kauf im Druckpunkt anpassen). Die allermeisten Kolleginnen und Kollegen sind vermutlich mit der günstigeren Serie 40 auf lange Sicht genauso zufrieden, wie mit der Renatus-Klaviatur. Klar muss einem beim Kauf sein, dass man in dieser Preisklasse echte Orgelbauerklaviaturen bekommen kann (welche aber in der Funktionsweise anders sind).

Die Klaviaturen von Wolfram Syré waren bei keinem der angefragten Händler verfügbar; sie werden ausschließlich auf Kundenwunsch bei einer Orgelbaufirma in Ungarn gebaut und dann nach Deutschland versandt. Wer solch eine Klaviatur vor Bestellung zur Probe spielen möchte, hat lediglich die Möglichkeit, direkt beim Erfinder anzufragen, welcher aber sehr freundlich und hilfsbereit ist und auf Wunsch ein Muster verschickt bzw. manchmal sogar zu sich daheim einlädt.

Hinsichtlich des Spielgefühls überzeugt diese Klaviatur auf ganzer Bandbreite. Sie spielt sich angenehm, ist mittels Schraube hinten (Abrissmagnetsystem) leicht im Druckpunkt individuell einstellbar und kommt nahe an das Gefühl einer mechanischen Traktur ran. Das Holz ist sauber verarbeitet und macht einen sehr wertigen Eindruck.
Dass sie persönlich nur den zweiten Platz erhält, hat mehrere Gründe: Zum einen vertreibt sie keiner der großen deutschen Händler, weshalb sie im Grunde nicht probegespielt werden kann (außer bei Herrn Syré vor Ort oder wenn man ein Muster bekommt). Man muss mehr oder weniger "blind" ein Produkt im Ausland kaufen, das dann nach Deutschland geschickt wird.

Auf Anfrage erklärte sich nur Herr Pausch aus Baden-Württemberg grundsätzlich bereit, diese Klaviatur im Kundenauftrag zu bestellen, zu midifizieren und zu verbauen; da er aber keinerlei Erfahrungswerte mit diesen Klaviaturen besitze, würde das Kaufrisiko beim Käufer liegen.
Die Klaviatur ist nicht günstiger als UHT, wenn nicht sogar am Ende ein wenig teurer. Spielgefühl annährend gleich wie Pausch (Heuss, also besser als bei UHT), Verfügbarkeit u.a. aber deutlich schlechter.

Den Platz 1 (Pausch-e/Heuss) teilt sich das Treppchen mit Herrn Syrés Klaviaturen, sind sich beide Klaviaturen in der Funktionsweise und im Preis doch ziemlich ähnlich.
Vorteil Pausch-e: In Deutschland gebaut, erhältlich und testbar (was bei Herrn Syrés Klaviaturen nicht zutrifft).
Es handelt sich hierbei um die zweiarmige "High-End"-Klaviatur, welche Herr Pausch durch einen Orgelbauer weiterverarbeiten lässt, vertreibt und vermutlich bei Heuss zwecks Weiterverarbeitung einkauft.

Die Klaviatur zeichnet sich durch einen langen doppelarmigen Hebel und das Vorhandensein von Schenkelfedern aus. Der Druckpunkt wird sehr ähnlich wie bei Herrn Syrés Klaviaturen mittels des "Abriss-Magneten-Prinzips" erzeugt, was sich deutlich authentischer anfühlt als z.B. das System von UHT (wo sich im vorderen Teil der Taste beim Herabdrücken dieser zwei Magnete treffen). Auch hier gibt es einige individuelle Einstellungsmöglichkeiten.

Das hervorragende Spielgefühl muss man sich aber teuer erkaufen: Mehr als 4000 Euro sind pro Klaviatur einzuplanen; ein nicht ganz günstiger Spaß.

Fazit
Nach mehrmaligem Probieren der einzelnen Klaviaturen ergibt sich zwar eine gewisse Kohärenz von Spielgefühl und Preis, es kommt aber in erster Linie auf die Erwartungen und Vorlieben des Organisten an, welche Klaviatur für ihn die Beste ist. Von daher lautet die Empfehlung, dass jeder, der sich den Kauf oder Bau eines Spieltisches überlegt, so viele Klaviatursysteme wie möglich ausprobiert und dann nach persönlichem Geschmack entscheiden soll.

Nachfolgend noch ein paar subjektive(!) Empfehlungen, welche ggf. der Kauforientierung dienen können:

Wer Hobbyspieler ist, gute Erfahrungen mit nicht-mechanischen Spieltrakturen gemacht hat und eine gute Klaviatur sucht, bei der Preis, Leistung und Haltbarkeit in gutem Einklang stehen, dem würde er zu den Holzkern-Fatars mit Ivory-Oberfläche raten. Wer zusätzlich großen Wert auf die Holzoptik legt, für den könnten die Vollholz-Fatars eine gute Wahl sein.

Wer sparen möchte und der Klaviaturfrage keine sehr große Rolle beimisst, für den sind die Metallkern-Fatars oder die Standardklaviaturen von Viscount vielleicht das Richtige.

Wer vor allem mechanische Orgeln spielt, ein klares Feedback von seiner Klaviatur haben möchte, von den Fatars nicht beeindruckt und bereit ist, etwas mehr zu investieren, dem kann ich die Schwindler-Klaviaturen gut empfehlen. Sie sind in der Verarbeitung schlechter aber dafür günstiger als die UHT's und vom Spielgefühl nicht schlechter, sondern einfach anders.

Wer größten Wert auf viele einstellbare Parameter, sauberste Verarbeitung und lange Haltbarkeit bei gleichzeitig sehr gutem Spielgefühl legt, der ist mit den UHTs gut beraten. Die Serie 40 ist etwas günstiger sowie knackiger und ggf. etwas für die Leute, die beim Spielen eher das Gefühl einer knackig-schweren Hauptwerk-Traktur unter den Fingern spüren wollen. Die Renatus-Serie spielt sich hingegen etwas angenehmer und weicher und ist ggf. auch eine gute Wahl für alle, die leichtgängige mechanische Trakturen oder das Spiel an modernen elektrischen Spieltrakturen gewöhnt sind. Hier kann man sich alles komplett nach persönlichen Wünschen einstellen lassen.

Für die "Mechanische-Pfeifenorgel-Enthusiasten", die einen knackigen Druckpunkt und das Gefühl des Bewegens von viel Holz haben wollen, stellen möglicherweise die Klaviaturen von Syré oder von Pausch (Heuss) eine sehr gute Lösung dar. Die Klaviaturen von Herrn Syré sind etwas kompakter und leichter und daher wohl die erste Wahl für größere Spieltischprojekte (4 oder 5 Manuale). Die Heuss-Klaviaturen von Herrn Pausch sind wohl noch ein kleines bisschen teurer, vermitteln aber meiner Ansicht nach das "authentischste" Spielgefühl für alle, die primär oder bevorzugt an schwergängigeren mechanischen Pfeifenorgeln ihren Dienst tun. Aufgrund ihres Gewichtes wohl eher eine Option für ein- bis maximal dreimanualige Spieltischprojekte.

Die Beschreibungen basieren auf rein subjektiven Eindrücken, hilft aber ggf. dem einen oder anderen Kollegen/Kollegin bei der Entscheidungsfindung.


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09.07.2023 23:50
#2
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Danke für die Zusammenfassung. Ich muss aber gestehen, dass ich es mit den Manualen nicht so ganz nachvollziehen kann. Die Manuale kosten ja eine Menge Geld, mir erschließt sich aber ehrlich gesagt nicht, warum viele so viel Geld bereit sind auszugeben. Bei einem E-Piano kann ich es insofern nachvollziehen, dass man hier mit der Mechanik durchaus das Spiel beeinflussen kann. Bei einer Orgel hingegen gibt es ja nur Ton an oder Ton aus.

Ich selbst benutze bei mir alte Manuale aus einer Wersi Orgel. Sie sind leichtgängig und machen keine Eigengeräusche, somit gefallen sie mir. Im Gegensatz zu vielen Orgeln die ich gespielt habe, sind diese simplen Manuale bei weiten genauer und besser zu spielen, da hier der Anschlag überall gleich ist, während an vielen mechanischen Orgeln der Anschlag ja bei jeder Taste einige Millimeter unterschiedlich ist, zumindest bei denen die nicht gut gewartet sind. Das sind leider sehr viele.

Könnt ihr mir vielleicht einmal nachvollziehbar erklären, warum ihr bereit seit so viel Geld für die Manuale auszugeben und wo für euch der Mehrwert dort liegt im Vergleich zu einer anderen Lösung?


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10.07.2023 07:02
avatar  Snah
#3
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Ich muss gestehen, dass ich meine Hauptwerkorgel „blind“ gekauft habe. Ich habe weder Tastaturen noch Orgelsets getestet. Hatte aber genaue Vorstellung, was ich haben wollte. Der Orgelwunsch und Orgelkauf lag genau in der Pandemiezeit.
Ich habe mich für die UHT entschieden, weil ich etwas gutes und vor allem wartungsfreies für die „Ewigkeit“ haben wollte. Ich würde jederzeit wieder dieses Produkt kaufen.
Ich hatte zuvor eine Ahlborn mit den Standardtastaturen. Solche Tastaturen kannte ich auch bei diversen elektrischen Viscountorgeln in einigen Kirchen. Wenn man nur diese Tasten kennt, dann gewöhnt man sich leider daran, wohl auch deshalb, weil man nichts anderes zu Verfügung hat.
Seit ich aber die UHT-Tasten spiele, mag ich gar nicht mehr in diese Kirchen. Für mich liegen da Welten dazwischen auch wenn es nur Ton an und Ton aus ist. Es macht auch einen großen Unterschied wenn ich keinen Druckpunkt beim Tastendruck spüre.
LG Hans


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10.07.2023 21:59 (zuletzt bearbeitet: 10.07.2023 22:00)
avatar  Montre
#4
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Vor mehr als 10 Jahren habe ich die UHT's spielen können. Was mir in Erinnerung geblieben ist, dass die Haptik absolut edel war. Für dieses Spielgefühl würde ich jede Plastiktastatur entsorgen. Was mir nicht gefiel war das zunehmende Tastengewicht beim niederdrücken einer Taste. Das hat kein Muss-Ich-Haben-Gefühl ausgelöst. Ich weiß allerdings nicht, welche Serie das war. Mein Beitragslieferant vermutet die Serie 40 mit den kürzeren Hebeln.

Auf Holztasten spielen vervielfacht die Freude am Orgelspiel. Wenn man die Tage der zusätzlichen Freude aufaddiert, dann relativiert sich der Preis etwas. Aber es ist halt schweineteuer, daher habe ich auch bisher keine Holzklaviaturen. Zu dem Preis baue ich mir die selbst und habe dann auch Maschinen, die ich weiter verwenden kann. Das dauert halt und ist keine schnelle Lösung.


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10.07.2023 22:14
avatar  Montre
#5
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Vor wenigen Jahren lagen die Klaviaturen eher im Bereich um die 3000€. Ich meine mich zu erinnern, dass die Syré-Klaviaturen bei der Neuvorstellung und im Selbstvertrieb um die 2500€ gekostet haben. Die Verlagerung des Vertriebs nach Ungarn und die damit verbundenen Zölle werden u.a. zum hohen Preis beigetragen haben.

Mein Beitragslieferant steht für Rückfragen gerne zur Verfügung (Danke im voraus!)

VG
Wolfgang


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10.07.2023 22:34
#6
So

Ungarn ist im Binnenmarkt. Wieso also Zölle? Das wäre eher bei einer Fertigung in China o.ä. der Fall.


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10.07.2023 23:34 (zuletzt bearbeitet: 10.07.2023 23:36)
avatar  Montre
#7
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Mitdenken hilft ;-) Klar, dann sind es wohl doch die Gewinn-Margen, die in die Höhe geschossen sind.

https://www.balaton-service.de/reise-zoll.shtml


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11.07.2023 23:34
#8
So

Zitat von Christian_Hofmann im Beitrag #2
Bei einem E-Piano kann ich es insofern nachvollziehen, dass man hier mit der Mechanik durchaus das Spiel beeinflussen kann. Bei einer Orgel hingegen gibt es ja nur Ton an oder Ton aus.

Heute habe ich über Viscount Orgeln gelesen, dass dort die Anschlagsgeschwindigkeit gemessen und davon abgeleitet wird, wie das Einschwingverhalten des Tons ist, also ob das "Ventil" schnell oder langsam geöffnet wurde.

Jetzt ist die spannende Frage ob Hauptwerk das auch kann und unterschiedliche Attacks vom Velocity Wert ableitet. Dann macht nämlich die Anschlagsdynamik für Puristen auch bei Orgel wieder Sinn.


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17.07.2023 22:34 (zuletzt bearbeitet: 17.07.2023 22:35)
avatar  Montre
#9
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Ich finde gerade die Entwickler-Doku nicht, aber ich meine, Hauptwerk unterstützt das. Mir ist allerdings kein Sampleset bekannt, das diese Funktionalität bietet.


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17.07.2023 22:44
avatar  Montre
#10
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HW unterstützt das:
"Für eine Pfeife können mehrere Attack- und Release-Samples aufgezeichnet werden, die jeweils durch Drücken oder Loslassen der Orgeltaste mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten aufgenommen werden.
...
so dass Hauptwerk die passenden Samples auf der Grundlage der Tastengeschwindigkeiten auswählt".


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